Die Geschichte der Wiener Hauptbahnhöfe

Eine Artikelserie von Michael Suda

Der Nordbahnhof

Eröffnet am 6. Jänner 1838 zusammen mit dem Streckenabschnitt Wien Nordbahnhof - Floridsdorf und den Donaubrücken der Nordbahn. Erster Bahnhof in Wien, bis 1918 auch einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste. Keine Namensänderung im allgemeinen Sprachgebrauch bis 1959, allerdings wurde die Station - wie bei allen Privatbahnen in deren isolierter Sichtweise üblich - vermutlich zunächst amtlich einfach als "Wien", "Station Wien" oder "Stationsplatz Wien" bezeichnet, später vielleicht auch als "Wien (KFNB)".

Lage: In der Vorstadt Leopoldstadt (heutiger 2. Gemeindebezirk) am Rande des Pratersterns entlang der heutigen Nordbahnstraße zwischen Stadtgutgasse und Am Tabor (Aufnahmsgebäude).

Bauten: Das erste Aufnahmsgebäude wurde nach Plänen des Architekten A. Jüngling im schlichten klassizistischen Stil errichtet und 1839 fertiggestellt. Es stand, wie bereits gesagt, entlang der heutigen Nordbahnstraße. Die Gleise befanden sich auf einer erhöhten, beim Bahnbau angeschütteten Fläche und waren nicht mit einer Halle überspannt, wie das erst später bei repräsentativen Kopfbahnhöfen üblich wurde. Das Gebäude hatte einen L-förmigen Grundriss, wobei die kurze Seite dem heutigen Praterstern zugewandt war. Sie schloss die Gleise ab, da ein Weiterbau Richtung Süden (Verbindungsbahn) beim Bau der Anlage anscheinend noch nicht absehbar war. Dieser erste Nordbahnhof war in seiner Anfangsphase demnach einer echter Kopfbahnhof. Im langen Trakt waren Kassen, Warteräume und Verwaltungsbüros untergebracht, eine Aufgangstreppe führte von dort in den eigentlichen "Bahnhof" mit vier Gleisen. Die Abgangstreppe führte wiederum durch den kurzen Quertrakt in einen Vorhof, von dem aus man durch einen Torbogen wieder auf die Straße gelangte. Im Quertrakt befand sich auch eine Halle für ein Gleis, das von den Bahnhofsgleisen über Drehscheiben erreichbar war. Leider ist mir aber nicht bekannt, ob diese Halle als Wagenremise, Werkstätte oder zu Güterverladung diente, die Signatur "M" (Magazin?) auf dem mir zur Verfügung stehenden Grundriss deutet auf letzteres. Durch die rasante Entwicklung der KFNB und ihren großen wirtschaftlichen Erfolg wurde der erste Nordbahnhof bald zu eng und dürfte dem Verwaltungsrat und den Aktionären der Bahn auch als deutlich zu wenig repräsentativ erschienen sein. "Nicht kleckern, sondern klotzen!" hieß in der Gründerzeit die Devise, um das einmal mit einer dem deutschen Sprachgebrauch entlehnten Formel zu beschreiben. Leider wurde dieses Prinzip zu oft nur auf repräsentative Bauwerke und Fassaden angewandt, während die technische Dimensionierung so mancher Anlage bescheiden blieb. Anlass für den Neubau bot die Errichtung der Verbindungsbahn zwischen Nordbahn und Südbahn, die auf Staatskosten erfolgte. Für diese muss bereits der Quertrakt demoliert worden sein, der Nordbahnhof wurde betrieblich zum Durchgangsbahnhof. Der Neubau des Aufnahmsgebäudes begann im Jahr der Eröffnung der Verbindungsbahn 1859 und wurde 1865 vollendet, Architekt dieses legendären zweiten Nordbahnhofs war Th. Hoffmann. Das Grundprinzip von 1838 wurde beibehalten, auch die Zugangswege gestalteten sich ganz ähnlich. An die Stelle des schlichten Klassizismus trat allerdings ein romantischer Historismus mit romanischen, byzantinischen, gotischen und maurisch-arabischen Stilelementen. Sehr interessant ist die Gestaltung der Bauten auf ihre optische Wirkung hin. Aus dem Blickwinkel vom Praterstern her hatte man den Eindruck eines vollkommen symmetrischen, rechteckigen Baukörpers mit vier turmartigen Eckbauten, einer Mittelhalle (mit Haupteingang und Vestibül) entlang der Nordbahnstraße und einer zwischen die vier Turmbauten eingespannten Gleishalle mit eisernem Zeltdach. Der vierte, nordwestliche Turmbau, der aus der vorhin geschilderten Perspektive verdeckt gewesen wäre, existierte allerdings gar nicht, sodass das Bauwerk von der Seite des Frachtenbahnhofs her betrachtet unsymmetrisch ausgesehen haben muss. Auch die stadtseitige Hallenfassade war mit Stützsäulen (die allerdings die Gleislage unflexibel machten) und aufgeblendetem Mauerwerk architektonisch gestaltet, während die Ausfahrt Richtung Norden die "nackte", bloß verglaste Eisenkonstruktion ohne Stützen sehen ließ.

Die Halle bot fünf Gleisen Platz, an die Bauten schloß jeweils ein breiter Bahnsteig mit schräger Glasüberdachung an, dann folgten eiserne Säulen, die die eigentlich Dachkonstruktion trugen. Deren Spannweite betrug bescheidene 22 Meter, was bedeutete, dass man aus Platzgründen ohne Bahnsteiginseln auskommen musste. Der Zugang erfolgte wie gehabt von der Nordbahnstraße durch das Vestibül (Kassenhalle) und über zwei prächtig dekorierte Treppenhäuser zum südlichen Seitenbahnsteig. Ankommende Reisende verließen das Gebäude über eine Treppe, die vom nördlichen Seitenbahnsteig längs der Gleise in den Ankunftshof führte, der teilweise unter den Brücken der Verbindungsbahn lag. Die Verbindungsbahn teilte sich seit ihrer Eröffnung an einer Abzweigung auf den Viadukten über den Praterstern, die Gleise für den Personenverkehr führten direkt in die Halle, die Güterzuggleise umfuhren den Personenbahnhof an der Nordostseite und mündeten in den Frachtenbahnhof, der mit seinen zahlreichen Ladestraßen, Kohlenrutschen - Kohle aus den mährisch-schlesischen Revieren war ein hauptsächliches Frachtgut der Nordbahn - und Magazinen die größte derartige Anlage in Wien war.

Der Nordbahnhof behielt seine wichtige Stellung bis zum Ende der Donaumonarchie. Um 1860 war er zeitweilig universeller Ausgangspunkt für sämtliche nördlichen und östlichen Reisedestinationen von Stockerau über Brünn, Prag, Berlin, Krakau, bis hin zu Pressburg und Budapest. Auch später, als sich einige der genannten Verbindungen auf andere Bahnhöfe verlagert hatten, ließ die Bedeutung der mährischen und gallizischen Wirtschaft sowie der Verbindung nach Polen und Russland, trotz Verstaatlichung der KFNB im Jahre 1906, die Position des Nordbahnhofs ungeschmälert, der Ausbau der Verbindungsbahn zur Stadtbahnlinie brachte ihm sogar eine bessere Integration in den Nah- und Regionalverkehr. Erst nach 1918 sank die Bedeutung der Nordbahn im Fernverkehr rapide, dafür wurde der Personenverkehr der Nordwestbahn 1924 erstmalig zum Nordbahnhof verlagert. Die Reichsbahn begann bereits während des zweiten Weltkriegs, die über die Nordbahn nach Wien gelangenden Reisezüge zum Ostbahnhof zu verlagern. 1944/45 trafen Fliegerbomben die Halle und brachten die Dachkonstruktion zum Einsturz, sie wurde mit dem nördlichen Trakt des Personenbahnhofs abgetragen, nur die devastierte und teilweise ausgebrannte Ruine des Abfahrtstrakts blieb als traurige "Ritterburg" noch bis 1964 stehen. Beim Abzug der deutschen Truppen aus Wien hatten Wehrmacht und Waffen-SS Mitte April 1945 ganze Arbeit geleistet und aus der Nordbahnbrücke über die Donau durch Sprengung einen Haufen verbogener Eisentrümmer gemacht. Eine Reparatur war oder schien zumindest unmöglich, unwirtschaftlich und nicht vordringlich. Für die wenigen regionalen Personenzüge der Nordbahn war daher in Floridsdorf Endstation, für die Nordwestbahn wurde deren weniger zerstörte Donaubrücke repariert, der restliche (Fern-)Verkehr konnte nach Reparatur der Ostbahnbrücke 1947 über diese geleitet werden.

Der alte Nordbahnhof selbst wurde auch bei Wiederherstellung des Personenverkehrs 1959 in seiner Vorkriegsform nie wieder aufgebaut. An Stelle der prächtigen Stationsanlagen stehen heute Eisenbahnerwohnblocks im typischen Blockstil der Sechzigerjahre und ein Verwaltungsgebäude der ÖBB. Die Nachfolge trat der Bahnhof Praterstern, heute Wien Nord genannt, an.

2. Stadtbahnstation Praterstern

Anlässlich des Stadtbahnbaus wurde 1898 auch der Abschnitt Hauptzollamt (heute Wien Mitte) - Wien Nordbahnhof in den Stadtbahnverkehr einbezogen und für den Verkehr Wien Nordbahnhof - Hauptzollamt - Wientallinie der Stadtbahn vorbereitet. Neben dem Neubau des Bahnhofs Hauptzollamt, der zwecks Anschluss an die unterirdisch geführte Wientallinie der Stadtbahn von Hochlage +1 in Tieflage -1 rückte, wurden die Viadukte saniert und verstärkt, die Donaukanalbrücke mit größerer Tragfähigkeit neu gebaut (Untergurtbogen statt Ketten-Hängebrücke), die Sicherungsanlagen erneuert und zwei Personenhaltestellen, Radetzkyplatz und Praterstern, errichtet bzw. ausgebaut (Am Praterstern wurde schon anlässlich von Ausstellungen im nahen ehemaligen Weltausstellungsgelände (Expo 1873) um die Rotunde (heute Messegelände) nach 1880 eine Station auf den Viaduktbögen errichtet).

Die Station Praterstern war für die Stadtbahnlinien ein Unikum: sie war die einzige Hochbahnstation mit Mittelbahnsteig. Sie lag in der der Rundung des Praterstern angepassten Viadukttrasse der Verbindungsbahn etwa zwischen Ausstellungsstraße und Hauptallee. Nach dem Ende des Stadtbahnverkehrs diente sie noch den über die Verbindungsbahn verkehrenden Personenzügen (ca. 20 Zugpaare an Werktagen), die teilweise auch von der Nordbahn auf die Südbahn durchliefen, als Haltestelle, so gab es etwa ein Personenzugpaar Marchegg - Gänserndorf - Wien Nordbf - Meidling - Bad Vöslau. Die Haltestelle Praterstern teilte nach 1945 das Schicksal des Nordbahnhofs: vom Personenverkehr zunächst beidseitig abgeschnitten, wurden ihre Reste Mitte der Fünfzigerjahre abgetragen, um dem Neubau des Bahnhofs Praterstern Platz zu machen.

3. Bahnhof Praterstern/Wien Nord

Nach 1945 war das Areal des Nordbahnhofs eine hässliche Trümmerwüste. Nur der Frachtenbahnhof und die Heizhäuser und Betriebswerkstätten der Nordbahn blieben in Betrieb. Eine Verbindung wurde über ein vom Nordwestbahnhof kurzfristig quer über die Kreuzung Taborstraße/Nordbahnstraße verlegtes Schleifengleis hergestellt, weiters gab es ja auch noch das Verbindungsgleis Wien Nordbf Frachtenbahnhof - Wien Donauuferbahnhof. Auch die Verbindungsbahn Richtung Süden wurde durch Wiederaufbau der Donaukanalbrücke schon früher wiederhergestellt.

1954 setzte der sozialistische Bundesminister für Verkehr und verstaatlichte Unternehmen, Karl Waldbrunner, durch die Kontrolle über die nahezu gesamte (verstaatlichte) Grundstoff- und Schwerindustrie ("Königreich Waldbrunner") auch de facto Österreichs mächtigster Wirtschaftsboss, die Planungen für die Wiener Schnellbahn in Gang, ein sehr sinnvolles und ambitioniertes Projekt, das der Minister in den Folgejahren fast im Alleingang und sogar gegen die Skepsis seiner Parteifreunde im Wiener Rathaus "durchzog". Kernpunkt der Planungen war der Ausbau der zerstörten Nordbahn zwischen Floridsdorf und Nordbahnhof sowie der Verbindungsbahn zwischen Nordbahnhof und Meidling zur Schnellbahnstammstrecke für den Nahverkehr mit Elektro-Triebwagenzügen. Dies umfasste - neben Trassensanierung, Elektrifizierung und Erneuerung der Sicherungsanlagen - den Neubau eines Bahnhofs im Bereich Praterstern/Nordbf., den Neubau der Bahnhöfe Hauptzollamt und Floridsdorf, mehrere Zwischenhaltestellen, sowie eine unterirdische Tunneltrasse zur Erschließung des neuen Südbahnhofs.

Das Generalprojekt für die Wiener Schnellbahn vom Juli 1955 sah den Neubau eines Bahnhofs am Praterstern als Hochbahnhof quer über dem nahezu kreisrunden Platz vor, um die Umsteigwege zu den über den Praterstern laufenden Straßenbahnlinien zu verkürzen. Dieser Bahnhof wurde im Zusammenhang mit dem endlich in Angriff genommenen Wiederaufbau der Nordbahn zwischen Floridsdorf und dem ehemaligen Nordbahnhof unmittelbar nach Projektgenehmigung begonnen und am 31. Mai 1959 zugleich mit der wiederaufgebauten Nordbahnbrücke eröffnet. Vorerst diente er nur als Endstation der mit Dampfloks bespannten Personenzüge der Nord- und Nordwestbahn. Am 17. Jänner 1962 wurde der elektrische Betrieb zwischen Gänserndorf bzw. Stockerau und Meidling über Praterstern und Landstraße (früher: Hauptzollamt) aufgenommen, gleichzeitig begann der Schnellbahnverkehr zwischen Floridsdorf und Meidling im 15-Minuten-Takt.

Name: Eröffnet als Praterstern, mit 1. Juni 1976 teilweise Rückumbenennung in Wien Nord.

Lage: Hochbahnhof quer über den Praterstern, von der Längenausdehnung her nimmt der Bahnhof ziemlich genau die Distanz zwischen den früheren Stationen Wien Nordbahnhof und Praterstern ein.

Bauten: Für den Straßenkreisverkehr bestehen zwei breite Unterführungen unter der Bahntrasse, eine westliche und eine östliche, zwischen beiden liegt in Platzmitte eine Unterführung für die Straßenbahnlinien aus der Praterstraße in Richtung Lasallestraße und Ausstellungsstraße (A,Ak, B,Bk, heute nur mehr 21). Daneben gab es anfänglich - wir befinden uns in der Epoche der auto- und technikfixierten und für alles andere ignoranten Stadtplanung - weitab vom Bahnhof und von den Haltestellen der Straßenbahnen auf der erwähnten Achse zusätzliche Umkehrschleifen für die Linien E2 und 5, die im Umsteigverkehr nur nach langen Fußwegen erreicht werden konnten. Zwischen westlicher Straßenunterführung und Straßenbahnunterführung liegen die Anlagen für den Personenverkehr. Die Kassenhalle erstreckt sich über die gesamte Breite der Hochbahnanlage (Eingänge beidseitig), sie umfasst Kassen, Gepäckabfertigung, Postamt, eine Gastwirtschaft (heute Billa-Supermarkt) und diverse kleine Läden. Zwei Stiegenanlagen mit Rolltreppen führen zum südlichen Schnellbahnbahnsteig und zum nördlichen Fernbahnsteig. Die Bahnsteige sind mit Bahnsteigdächern überspannt, deren typische, blau gestrichene Stahlstützen und Lamellendächer das einzige stilbildende Element der Schnellbahn darstellen, die sonst ganz im Stil der schnörkellosen, kantigen Moderne gehalten ist. Der Fernbahnsteig ist breiter. An seinen Außenkanten liegen zwei durchgehende Gleise, daneben gibt es noch zwei von und nach Norden befahrbare Stumpfgleise, also insgesamt vier durchgehende Gleise für den Personenverkehr und zwei Stumpfgleise. Auf dem Fernbahnsteig liegt auch die Fahrdienstleitung (Außendienst, die Zentrale befindet sich auf dem Turm des Zentralstellwerks).

Eine Kuriosität, über die sich sicher schon mancher gewundert hat, ist der nördlichste Mittelbahnsteig. Er ist nur über einen (Lasten-)Aufzug zugänglich, an ihm liegen ein weiteres Stumpfgleis und ein durchgehendes Gleis, das, wie die Streckenführung vor 1945, in den Frachtenbahnhof mündet. Er war für die Post- und Expressgutverladung vorgesehen, wurde aber nie richtig genutzt und ist heute praktisch funktionslos. Seit 1981 liegt unter der westlichen Straßenunterführung des Pratersterns die Station Praterstern der U1, eine der Stiegenanlagen liegt vor dem südlichen Eingang zum Bahnhof, sonst wurde für die U-Bahn an den Bahnanlagen nichts verändert. Die Straßenbahnhaltestellen und -schleifen wurden allerdings glücklicherweise, nach einigen Umbauten zwischendurch und baustellenbedingten Provisorien, stadtseitig vor der Kassenhalle (Linie 5) und in der Mittelunterführung (Linien O und 21) konzentriert.

4. Bahnhof Praterstern/Wien Nord

In Vorbereitung

zur Startseite / Navigationsframe nachladen