Orleans: Der Goldstandard

Orleans war einer der früheren französischen Betriebe, eröffnet bereits 2000; die Fahrzeuge (Alstom 301) haben noch Stufen im Wageninneren, sind also nicht durchgehend niederflurig. Wegen den engen Verhältnissen auf der historischen Loirebrücke sind sie mit 2,32 Metern auch außergewöhnlich schmal. Der Begriff "Interurban auf Rasengleis" drängt sich bei dem schönen Betrieb fast auf: der südliche Teil erschließt teils locker bebaute Vorortgegenden, bevor die Strecke das große Spital "la Source" erreicht. Im Norden fährt "Le Tram" von "Jules Verne" über den Vorbahnhof "Aubrais" zum Kopfbahnhof "Orleans" und erschließt daher die beiden Stationen optimal; danach geht es durch die malerische Altstadt und über die alte Loire-Brücke. Reist man von Paris an, kann man also auch Züge nach "Aubrais" nehmen, die nicht in den Kopfbahnhof hineinfahren.

Ein Video von 2001 gibt einen Eindruck des Betriebs vor 20 Jahren; viel hat sich an der Linie A seither nicht geändert. Außergewöhnlich: Einige Streckenabschnitte sind für 80 km/h zugelassen.

In der engen Altstadt sind zwei interessante Detaillösungen zu sehen: Einerseits eine Fahrbahnaufpflasterung nach "Wiener Modell", allerdings konsequenter als bei uns: Wegen der unübersichtlichen Platzverhältnisse schließen sich bei Einfahrt eines Zuges Schranken, um den Fußgängern sicheres Zusteigen zu garantieren. Der Wartebereich ist dabei unter den Arkaden der angrenzenden Häuser. Die zweite originelle Lösung wurde an der Place de Gaulle nötig, als durch den Bau der zweiten Linie die Haltestellen der Altstrecke in den Gleisbogen verschoben werden mussten. Hier fahren nun Trittbretter aus dem Bahnsteig aus, um den zu großen Spalt zu überbrücken.


Die Südstrecke führt wie schon erwähnt durch Vorortgemeinden, landschaftlich reizvoll ist die Querung des Flüsschens Loiret. Kurz vor der Endstatiion am brutalistischen Hôpital de la Source liegt das Depot.

Trotz ihres Alters immer noch elegant und zweckmäßig auch die bronzefarbenen Wagen - die Farbe wurde eigens entwickelt, nennt sich "Sable de Loire" und orientiert sich am vorherrschenden Farbton der Stadt. In den großen Auffangbereichen gibt es sogar Möglichkeiten zum Fahrradtransport. Einige Sitze des "Citadis" sind auf Podesten montiert, unter denen der Antrieb liegt.

2012 wurde eine zweite Tramlinie in West-Ost-Richtung gebaut. Sie kreuzt die erste Linie am Place de Gaulle. Der Umbau war auch Gelegenheit für archäologische Ausgrabungen. Wegen der Führung durch die Rue Jeanne d'Arc und direkt an der Kathedrale vorbei wird die neue Linie B in diesem Bereich per Unterleitung mit Strom versorgt.

Hier entstand ein eleganter aufgeräumter Platz in hoher Qualität. Der dreieckige Platz war vor dem Bau der zweiten Tramwaylinie immer noch vom IV befahren, heute ist der Bereich zum größten Teil Fußgängerzone - und ein Treffpunkt im Zentrum der Stadt. Auch die angrenzende Hauptachse zur Kathedrale wurde von drei IV-Spuren auf eine reduziert.


Das Design der für die Linie bestellten "Citadis 302" wurde speziell für die "CLEO" genannte Linie entwickelt: Orléans liegt in der "Cosmetic Valley" genannten Region, in der viele französische Parfum- und Kosmetikhersteller angesiedelt sind. Mit der Beauftragung von Oliver Echaudemaison, dem Art Director der Marke Guerlain schafft die Stadt ein hochwertiges Ambiente und damit regionale Identität in den Fahrzeugen. Echaudemaison hat zwei harmonische Farbwelten für das Interieur der Wagen geschaffen, "Natural" mit ruhigen Braun- und Beigetönen, sowie "Trendy" in frischem Blau und Violett.


Speziell bei der Linie B fällt die hierzulande unvorstellbar sorgfältige Gestaltung (Richez Associes) auf. Der zentrale Bereich der Stadt wurde mit größter Achtsamkeit erneuert, bis in die kleinsten Details geht die Aufmerksamkeit. Innenstädte als Territorien der Hochwertigkeit - das ist es, was sie von den gesichtslosen Einkaufszentren am Stadtrand unterscheidet. Im Zentrum von Orleans spürt man mit jedem Schritt, was damit gemeint ist.



Bei der Fahrt nach Orleans gibt es noch eine kleine eisenbahntechnische Sehenswürdigkeit: etliche Kilometer weit begleitet die Trasse des "Aerotrains" die Bahnstrecke. Hier probierte man in den 1960er Jahren eine Hochgeschwindigkeitsbahn auf Luftkissen - wie die deutsche Magnetschwebebahn einige Jahrzehnte später ist sie schlussendlich an der Tatsache gescheitert, dass Alternativen zum klassischen Rad/Schiene-System nicht notwendig sind.

Nachdem die Linie A zu den ältesten Straßenbahnstrecken Frankreichs gehört soll sie nun neue Züge bekommen, dabei wird sie an die Linie B angeglichen: 2,40 statt 2,32 Breite, Unterleitung im Innenstadtabschnitt.

Netzplan

Tramway in Orleans (offizielle Seite)

Netzerweiterungen werden überlegt, hier die unterschiedlichen Ideen

Artikel "Der Goldstandard" als Langfassung (Straßenbahnmagazin, PDF)

Richez Associes, das Architekturbüro der Linie B

Aerotrain auf Wikipedia


Die Zukunft der Städte, Seite 90

Alle Viennaslide-Bilder zur Linie A

Alle Viennaslide-Bilder zur Linie B

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Lage in Frankreich

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Letzte Änderung: 9.10.2023